V2H - Vehicle to Home

Vehicle-to-Home: Kommt Strom nachts aus der Garage?

Welche Potenziale haben Elektroautos als privater Stromspeicher

von Volker Hasenberg

Manchmal geben auch die bescheidensten und introvertiertesten Menschen ein öffentliches Statement ab. Bei der Energiewende geht es kaum anders. Am Anfang steht meist die eigene Photovoltaikanlage auf dem Dach – und die ist für alle weithin sichtbar. Rund ein Drittel des eigenen Strombedarfs kann damit über die Sonne direkt abgedeckt werden. Die nächsten Schritte der persönlichen Energiewende erfolgen dagegen im Verborgenen. Mit einem Batteriespeicher im Keller kann der selbst genutzte Solarstrom etwa verdoppelt werden. Je nach Verbrauch reichen 5 bis 10 kWh Speicherkapazität aus, um sich zu 70% mit Strom selbst zu versorgen. Manch einer hat jedoch das zehnfache an Speicherkapazität zur Verfügung. Und das ist gar nicht mehr so selten. Allerdings steht dieser Speicher nicht im Keller sondern auf vier Rädern in der Garage. Elektroautos der Mittelklasse wie z.B. der Kia e-Soul oder der VW ID.3 haben gut 60 kWh unter der Haube. In der Oberklasse kratzen Audi e-tron, Mercedes EQC oder Tesla Model X an der 100 kWh-Grenze [ADAC, 2021]. Genug Kapazität um einen vierköpfigen Haushalt eine Woche lang mit Strom zu versorgen.


Wenn die Sonne also kräftig scheint, wird der Autoakku geladen. An Regentagen und in der Nacht versorgt das Auto den eigenen Haushalt mit Strom. Alles ganz einfach? Ja, aber damit dies funktioniert, müssen Auto und Ladestation („Wallbox“) bidirektional Laden können. Kurz gesagt, der Strom muss in beide Richtungen fließen können: Vom Netz oder der Solaranlage in den Autoakku (Laden) und aus dem Autoakku ins Hausnetz (Entladen). Vehicle-to-Home (V2H) heißt das Prinzip. Bislang ist das nur mit dem japanischen Ladestandard CHAdeMO bei wenigen Autos (z.B. von Mitsubishi oder Nissan) möglich. Der jedoch weitaus gängigere europäische Standard CCS, der bei den europäischen Automarken verwendet wird, lässt bidirektionales Laden noch nicht zu. Die zuständige ISO-Norm 15118-20 ist jedoch in der finalen Ausarbeitung, Pilotprojekte laufen, erste Serienanwendungen sind in Vorbereitung. VW hat dies bereits für 2022 angekündigt [ecomento, 2021].

Doch ist das Konzept überhaupt sinnvoll? Wenn die Sonne so richtig scheint, steht das Auto nicht vor der eigenen Tür sondern am Arbeitsplatz und das fünf Tage die Woche. Für Nachtwächter eine tolle Lösung für alle anderen nur ein theoretisches Potenzial. Ist das so? Um das tatsächlich Potenzial abzuschätzen, muss man beides machen: den Grenzfall betrachten als auch den Einzelfall. Je eher auch der Grenzfall ein realistisches Potenzial bietet und je mehr Einzelfälle für diese Lösung geeignet sind, desto größer ist das realistische Potenzial in Deutschland insgesamt.

Wie sieht der Grenzfall aus? Das Auto müsste von Montag bis Freitag den Strom für die gefahrenen Kilometer und den Bedarf in der Nacht bereitstellen und am Sonntagabend wieder einen vollen Akku haben – gespeist von der Solaranlage vom Dach. Bei Annahme von täglich 8 kWh für das Auto und 4 kWh Bedarf in der Nacht müsste der Akku mindestens 60 kWh Kapazität aufweisen und die Solaranlage pro Tag mindestens 50 kWh Strom produzieren, um am Wochenende einerseits den Autoakku vollständig wieder aufzuladen und andererseits noch den Strombedarf am Samstag und Sonntag zu decken. Kurzum, der Autoakku müsste groß sein und die Solaranlage ebenso. Beides nicht unrealistisch. 60 bis 100 kWh haben die meisten Elektroautos schon heute und eine große Solaranlage mit 17 kWp produziert 100 kWh durchaus in zwei Tagen, selbst in der Übergangszeit und das auch, wenn der April und Mai so verregnet ist, wie in diesem Jahr (siehe Bild).

Zudem sind in den Sommermonaten auch Ladeleistungen mit Strom vom Dach am frühen Morgen und am Abend, also vor und nach der Arbeit, möglich. Im Juni springt meine Wallbox bereits kurz nach 6 Uhr morgens an und beginnt zu laden (Wallbox ist so eingestellt, dass erst mit mindestens 75% Strom vom Dach der Ladevorgang beginnt). Eine nach Osten und nach Westen ausgerichtete PV-Anlage erhöht die Stromproduktion in diesen Randzeiten zusätzlich. Und zur Wahrheit gehört auch, dass Beschäftigte in Vollzeit abzüglich Urlaubs- und Krankheitstage in Deutschland 207 Tage in 2019 arbeiteten [IAB 2020]. Gemittelt sind das 4 Tage die Woche, das heißt, selbst in der Grenzbetrachtung steht das Auto mehr als 2 Tage die Woche zu Hause auch wenn Urlaubsabwesenheit berücksichtigt werden würde.

Aber das Leben findet nicht im statistischen Durchschnitt statt. Es gibt unbenommen viele Fälle, die ungünstig für bidirektionales Laden sind. Umgekehrt gibt es auch eine Reihe von Arbeits- und Lebensmodelle, die für den Einsatz von Elektroautos als Heimspeicher geradezu ideal sind. Das sind vor allem Lebenssituationen, in denen man tagsüber mehr zu Hause ist oder nicht fünf Tage am Stück ins Büro fährt. Wenn man sich wochentags in den Wohngebieten und auf den Straßen so umschaut, gewinnt man nicht den Eintrag, dass alle Autos tagsüber nur auf den Firmenparkplätzen stehen. Der Eindruck täuscht nicht. 10 Mio. Menschen in Deutschland arbeiten in Teilzeit, über 6 Mio. Menschen arbeiten jenseits von Nine-to-Five in Schichten und fast 6 Mio. ganz oder teilweise von zu Hause – bereits vor der Pandemie. Hinzu kommen 21 Mio. Deutsche, die in Haushalten mit zwei und mehr Fahrzeugen leben, ein Elektroauto also flexibler einsetzen könnten, als es in Haushalten mit nur einem Auto möglich wäre. Und letztlich pendeln ein Drittel der Beschäftigten nicht mit dem Auto zur Arbeit, einige von ihnen besitzen aber eines (ich bin einer von Ihnen). Eine Gruppe wird meist gar nicht betrachtet, können von allen aber am flexibelsten Elektroautos einsetzen: 23 Mio. Rentner*innen und Pensionär*innen in Deutschland müssen überhaupt nicht mehr zur Arbeit fahren.

Gewiss hat nicht jeder Rentner ein Auto, ebenso nicht jeder, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln pendelt oder in Teilzeit arbeitet. Doch die Beispiele zeigen, die Arbeitswelt ist so vielfältig, dass eine Bewertung des Potenzials von Elektroautos als Heimspeicher nicht an der klassischen 5-TageArbeitswoche festgemacht werden kann. Diese spiegelt schon längst nicht mehr die Arbeitswelt repräsentativ wieder. Aber jede Abweichung davon, erhöht das Potenzial. Die Corona-Pandemie hat den Trend zum flexiblen Arbeiten an unterschiedlichen Orten, wie von zu Hause, dauerhaft verstärkt. Im Januar 2021 während des zweiten Lockdowns war jeder vierte Erwerbstätige im Homeoffice. Nicht jeder von ihnen wird nach der Pandemie vollständig wieder im Büro arbeiten wollen und wird das auch nicht tun.

Für mich selbst sehe ich enorme Chancen durch bidirektionales Laden. Das Elektroauto wird mit Hilfe einer intelligenten Wallbox schon heute überwiegend mit Solarstrom vom Dach geladen. Im Juni lag der Anteil von Solarstrom bei über 80%. Er wäre noch deutlich höher, hätte mein Smart EQ nicht so einen kleinen Akku mit mageren 17 kWh, der tägliches Laden erfordert. Bei Arbeiten in Teilzeit und teilweise im Homeoffice bleibt genügend Zeit in der Woche, den Akku mit Sonnenstrom zu laden. Mit einem größeren Akku, könnte in der Nacht auch das Haus versorgt werden und wäre ich nicht gezwungen, jeden Tag das Auto einzustecken, auch wenn es abends ist und nur Netzstrom verwendet werden kann.

Die tägliche Speicherleistung eines typischen Akkus von 5 bis 10 kWh wäre realistisch zu erreichen, auch weil durch die große PV-Anlage von knapp 17 kWpeak selbst an trüben Tagen Stromüberschüsse produziert werden. Somit kann ich mir es „erlauben“ mit dem Elektroauto unterwegs zu sein und nicht den eigenen Sonnenstrom einzufangen. Gelegenheiten Überschussstrom zu speichern gibt es genug.

Die brauche ich auch. Im Winter steigt mein Strombedarf deutlich, weil eine Wärmepumpe für wohlige Wärme im Haus sorgt. Um möglichst viel eigenen Strom zu nutzen, müsste ich einen Heimspeicher nach dem Bedarf im Winter auslegen, allerdings wäre er dann im Sommer viel zu gering ausgelastet und damit nicht wirtschaftlich dimensioniert. In Kombination mit einem Elektroauto könnte der stationäre Speicher deutlich kleiner ausfallen und trotzdem ein hoher Autarkiegrad erzielt werden.

Es ist vor allem diese zusätzliche Flexibilität, die eine Vehicle-to-Home Lösung attraktiv macht. Es geht nicht um eine Frage entweder Heimspeicher oder V2H, sondern um zusätzliche Möglichkeiten. Für all jene, die ein Elektroauto ohnehin für ihre Mobilitätszwecke besitzen, schafft V2H einen Mehrwert. Wie groß dieser ist, hängt freilich vom Einzelfall ab. Doch es gibt sehr viele passende Einzelfälle.